Der Jakarta Konsens: Warum er nicht mit dem Mumbai- oder Beijing-Konsens mithalten kann

In den letzten Jahrzehnten haben mehrere asiatische Länder ihre eigenen Wege zur wirtschaftlichen Entwicklung eingeschlagen. Während China mit dem sogenannten Beijing Consensus ein staatsgelenktes Wachstumsmodell verfolgt und Indien mit dem Mumbai Consensus auf demokratisch getragene wirtschaftliche Reformen setzt, versucht Indonesien, seinen eigenen Pfad zu gehen oft als Jakarta Consensus bezeichnet. Dieses Modell kombiniert marktwirtschaftliche Prinzipien mit demokratischen Strukturen und institutioneller Vielfalt. Doch trotz seiner stabilen politischen Ordnung und strategischen Lage bleibt Indonesien im Vergleich zu seinen asiatischen Nachbarn wirtschaftlich zurück. Warum gelingt es dem Jakarta-Konsens nicht, mit dem Erfolg Indiens und Chinas mitzuhalten?

Was ist der Jakarta Konsens? Der sogenannte Jakarta Konsens ist kein formell definierter wirtschaftspolitischer Rahmen wie der Washington Konsens oder der Beijing Konsens. Vielmehr handelt es sich um ein loses Set von Prinzipien, das die wirtschaftliche Entwicklung Indonesiens prägt mit Wurzeln in der nationalen Ideologie Pancasila und dem Konzept der Volkswirtschaft (Ekonomi Kerakyatan). Im Zentrum dieses Ansatzes steht der Versuch, eine Balance zwischen freier Marktwirtschaft und staatlicher Intervention zu finden. Der Staat soll nicht alles kontrollieren, aber auch nicht völlig loslassen. Ziel ist eine sozial gerechte Entwicklung, die nicht nur Wachstum, sondern auch Kesejahteraan bersama das gemeinsame Wohlergehen anstrebt.

Diese wirtschaftliche Vision basiert auf der indonesischen Verfassung, insbesondere Artikel 33, der betont, dass wichtige Produktionsmittel vom Staat kontrolliert werden sollen, um dem Wohl des Volkes zu dienen. Daraus ergibt sich eine Form von partizipativer Ökonomie, in der Genossenschaften, kleine Unternehmen und gemeinschaftlich orientierte Strukturen eine zentrale Rolle spielen sollen. Doch während die Idee des Jakarta-Konsenses stark in nationalen Werten verankert ist, stellt sich die Frage, ob dieser Weg in der heutigen globalisierten Welt konkurrenzfähig ist  vor allem im Vergleich zu den aggressiveren und strukturierteren Entwicklungsmodellen Indiens und Chinas.

Der Mumbai Konsens steht für einen Entwicklungsweg, der marktwirtschaftliche Reformen mit demokratischer Vielfalt und sozialer Inklusion verbindet. Er entstand als Gegenmodell zum autoritären Beijing-Konsens, insbesondere nachdem Indien in den 1990er-Jahren seine Wirtschaft liberalisierte. Seitdem verfolgt das Land eine Strategie des offenen Marktzugangs, der Förderung von Dienstleistungen, Bildung und Innovation mit bemerkenswertem Erfolg. Indien hat es geschafft, eine dynamische Mittelschicht aufzubauen, ein florierendes IT- und Startup-Ökosystem zu etablieren und gleichzeitig demokratische Institutionen aufrechtzuerhalten. Im Gegensatz zu China setzt der Mumbai-Konsens auf bottom-up-Wachstum: Kleinunternehmer, lokale Innovationen und föderale Governance spielen eine entscheidende Rolle. Natürlich ist das indische Modell nicht frei von Problemen. Armut, Ungleichheit, Korruption und Bürokratie bleiben große Herausforderungen. Dennoch zeigt Indien, dass wirtschaftlicher Fortschritt auch innerhalb eines komplexen demokratischen Rahmens möglich ist vorausgesetzt, es gibt klare Reformziele, institutionelle Kapazitäten und politische Entschlossenheit.

Im Vergleich zum Jakarta-Konsens wirkt der Mumbai-Konsens oft pragmatischer. Er akzeptiert die Realität globaler Märkte, investiert gezielt in Bildung und Technologie, und traut privaten Akteuren mehr zu. Diese Kombination aus wirtschaftlicher Offenheit und demokratischer Steuerung macht das indische Modell für viele Entwicklungsländer attraktiv auch wenn es, wie jedes Modell, nicht perfekt ist.

Der Beijing-Konsens steht für ein staatsgelenktes Entwicklungsmodell, das sich deutlich vom westlich geprägten Washington-Konsens abhebt. Statt Liberalisierung und Deregulierung dominieren hier langfristige Planwirtschaft, autoritäre Entscheidungsstrukturen und gezielte Industriepolitik. Das Modell wurde insbesondere unter der Führung Deng Xiaopings nach den wirtschaftlichen Reformen ab Ende der 1970er-Jahre entwickelt und hat seitdem China zu einer globalen Wirtschaftsmacht gemacht.

Der chinesische Staat spielt im Beijing-Konsens eine zentrale Rolle: Er kontrolliert strategische Industrien, investiert massiv in Infrastruktur, fördert Exporte durch Subventionen und schützt Schlüsselbereiche vor ausländischem Einfluss. Gleichzeitig nutzt er Technologie nicht nur zur wirtschaftlichen Effizienz, sondern auch zur sozialen Kontrolle, ein Aspekt, der in demokratischen Gesellschaften wie Indonesien oder Indien schwer vorstellbar wäre.

Trotz seines autoritären Charakters zeigt das chinesische Modell klare Erfolge: In nur wenigen Jahrzehnten hat China hunderte Millionen Menschen aus der Armut geholt, riesige Städte aufgebaut und weltweit führende Technologiekonzerne hervorgebracht. Diese Entwicklung wurde durch eine Kombination aus Politik der kleinen Schritte, selektiver Öffnung und staatlicher Innovationsförderung ermöglicht. Kritiker bemängeln jedoch die fehlende Transparenz, Umweltprobleme, Menschenrechtsverletzungen und die wachsende soziale Ungleichheit. Dennoch bleibt der Beijing-Konsens für viele autoritär regierte Entwicklungsländer ein attraktives Vorbild, da er zeigt, wie schnelles Wachstum ohne umfassende politische Liberalisierung möglich ist.

Im Vergleich zum Jakarta-Konsens ist der Beijing-Konsens kompromisslos in seiner Zielorientierung. Während Indonesien oft zwischen demokratischer Rücksichtnahme und wirtschaftlichen Notwendigkeiten schwankt, verfolgt China klare nationale Interessen mit eiserner Disziplin. Genau dieser Unterschied wirft die Frage auf: Muss man autoritär regieren, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein? Trotz seiner strategischen Lage, seiner jungen Bevölkerung und seines politischen Übergangs zur Demokratie ist Indonesien im globalen Vergleich wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten. Während Indien und China jeweils ihre eigenen Modelle mit Disziplin und langfristigen Strategien verfolgen, wirkt die Entwicklung Indonesiens oft fragmentiert, reaktiv und inkonsequent.

Ein zentrales Problem liegt in der strukturellen Schwäche des Staates. Viele staatliche Institutionen sind durch Bürokratie, Korruption und geringe Effizienz gehemmt. Reformen werden häufig angekündigt, aber selten vollständig umgesetzt. Das Vertrauen in öffentliche Verwaltung und Rechtssystem ist begrenzt, ein Faktor, der Investitionen hemmt und die Wettbewerbsfähigkeit untergräbt.

Hinzu kommt die Abhängigkeit von Rohstoffexporten. Anstatt eine industrielle Basis oder eine wissensbasierte Ökonomie aufzubauen, bleibt Indonesien stark auf den Export von unraffinierten Rohstoffen wie Kohle, Palmöl oder Nickel angewiesen. Diese Form der extraktiven Ökonomie schafft kurzfristige Einnahmen, aber keine nachhaltige Entwicklung.

Auch im Bereich Bildung und Innovation hinkt das Land hinterher. Während Indien seine globale Position als IT- und Technologiestandort ausgebaut hat und China in Forschung und Entwicklung investiert wie kaum ein anderes Land, bleiben Indonesiens Ausgaben für Bildung und Forschung gering. Die Qualität der Schulbildung ist regional stark unterschiedlich, und der Zugang zu höherer Bildung bleibt für viele begrenzt.

Ein weiterer Faktor ist die politische Fragmentierung. Demokratische Prozesse sind zwar ein wertvolles Gut, doch in Indonesien führen sie oft zu kurzfristigem Denken, populistischer Politik und Klientelismus. Koalitionsregierungen und Machtverflechtungen behindern kohärente Wirtschaftspolitik. Die demokratische Vielfalt wird so nicht zur Stärke, sondern zur Bremse.

Schließlich fehlt es oft an einem klaren wirtschaftspolitischen Narrativ. Während der Beijing- und Mumbai-Konsens klare Entwicklungsziele und Rollenverteilungen definieren, bleibt der Jakarta-Konsens vage eine Mischung aus Ideologie, Pragmatismus und institutioneller Trägheit.

Indonesien steht also nicht vor einem Mangel an Ressourcen oder Potenzial, sondern an Kohärenz, Umsetzungskraft und strategischer Ausrichtung. Es ist nicht die Demokratie, die versagt sondern ihre institutionelle Ausgestaltung und wirtschaftspolitische Orientierung.

Was kann Indonesien lernen?Indonesien muss nicht den Weg Chinas oder Indiens kopieren aber es kann aus beiden Modellen wichtige Lektionen ziehen, um seinen eigenen Entwicklungsweg zu stärken. Der Jakarta-Konsens hat Potenzial, insbesondere durch seinen normativen Anspruch auf soziale Gerechtigkeit und demokratische Teilhabe. Doch ohne strukturelle Reformen bleibt dieses Potenzial ungenutzt.

1. Strategische Kohärenz schaffen
Indonesien braucht ein klar formuliertes wirtschaftspolitisches Leitbild, das über politische Zyklen hinaus Bestand hat. Eine langfristige Vision vergleichbar mit Chinas Fünfjahresplänen oder Indiens sektoralen Digitalstrategien würde Planungssicherheit schaffen und Investoren Vertrauen geben. Visionerische Politik darf nicht bei Rhetorik stehenbleiben.

2. Bildung und Innovation priorisieren
Indien hat gezeigt, dass gezielte Investitionen in Hochschulen, Technologieparks und IT-Ausbildung große Wirkung zeigen können. Indonesien sollte ebenfalls konsequent in Bildung und Forschung investieren, um eine wissensbasierte Ökonomie aufzubauen. Dabei müssen nicht nur Universitäten gestärkt werden, sondern auch berufliche Bildung und lebenslanges Lernen.

3. Bürokratie reformieren und Governance stärken
Ein effizienter Staat ist kein Widerspruch zur Demokratie. Korruptionsbekämpfung, Verwaltungsmodernisierung und digitale Behördendienste sind entscheidend, um die Umsetzungskraft der Politik zu verbessern. Hier kann Indonesien auch von erfolgreichen Verwaltungsreformen in anderen demokratischen Ländern wie Südkorea oder Taiwan lernen.

4. Industrielle Wertschöpfung fördern
Statt Rohstoffe nur zu exportieren, sollte Indonesien strategisch in Wertschöpfungsketten investieren etwa durch den Aufbau einer eigenen Batterieindustrie bei Nickel oder durch Förderung lokaler Marken im Agrarsektor. Dabei können klug designte Subventionen, Schutzmaßnahmen und technologische Transfers eine Rolle spielen.

5. Soziale Inklusion ernst nehmen
Wirtschaftliches Wachstum darf nicht nur einer kleinen Elite zugutekommen. Der Jakarta-Konsens hat die normative Stärke, Entwicklung als inklusiven Prozess zu begreifen. Um dies umzusetzen, braucht es gezielte Sozialprogramme, Investitionen in benachteiligte Regionen und eine Förderung von Genossenschaften sowie KMUs.

6. Demokratische Prozesse ökonomisch nutzen
Demokratie muss nicht das Hindernis sein sie kann sogar zur wirtschaftlichen Stärke werden, wenn Beteiligung, Transparenz und Rechenschaftspflicht institutionell verankert sind. Eine stärkere Einbindung von zivilgesellschaftlichen Gruppen, Regionen und akademischen Institutionen kann helfen, Reformdruck von unten aufzubauen.

Der Jakarta-Konsens verkörpert den Versuch, wirtschaftliche Entwicklung mit demokratischen Werten, sozialer Gerechtigkeit und nationaler Identität zu verbinden. Diese Vision ist einzigartig und sie verdient Anerkennung. Doch in der Realität bleibt sie oft vage, inkonsequent und wenig durchschlagskräftig. Im Vergleich zum strukturierten Beijing-Konsens und dem pragmatischen Mumbai-Konsens wirkt der indonesische Weg zögerlich und fragmentiert.

Indonesien steht an einem Scheideweg. Es kann sich weiterhin mit mittlerem Wachstum, struktureller Trägheit und außenpolitischer Randposition begnügen oder es kann eine strategische Neuorientierung wagen. Nicht durch blinden Import fremder Modelle, sondern durch eine selbstbewusste Reform seines eigenen Ansatzes.Dazu braucht es: eine klare wirtschaftspolitische Vision, institutionelle Reformen, Investitionen in Menschen, Ideen und regionale Stärke, und vor allem: den politischen Willen, über kurzfristige Interessen hinauszudenken.

Der Jakarta-Konsens muss sich weiterentwickeln von einem idealistischen Begriff zu einem umsetzbaren Modell. Er muss zeigen, dass ein Land mit demokratischer Vielfalt und religiöser Pluralität in der Lage ist, wirtschaftlich wettbewerbsfähig, sozial gerecht und kulturell selbstbestimmt zu sein. Denn am Ende geht es nicht darum, wie schnell man wächst sondern für wen

Comments

Popular posts from this blog

The Role of Schools in Discovering Student Potential: A Comparison of Urban and Rural Attitudes in Indonesia

Membedah Teori W. Arthur Lewis: Pelajaran dari Pertumbuhan Ekonomi 1870–1913 untuk Indonesia Hari Ini

Urbanization in Indonesia